Observatorium für Bildungsinnovation

Wenn man von Hauswirtschaft hört, denkt man oft an Koch- oder Nähkurse und schreibt sie ausschließlich den Frauen zu. Viele wissen jedoch nicht, was sich hinter diesem Studienfach verbirgt und welchen Einfluss es auf das Leben der Schüler hat.

Dieses Studienfach entstand Ende des 19. Jahrhunderts, und seine Entstehung wird Ellen Swallow Richards zugeschrieben, der ersten Frau, die am Massachusetts Institute of Technology (MIT) zugelassen wurde. Sie war Chemielehrerin an dieser Einrichtung und setzte sich für die Förderung der wissenschaftlichen Ausbildung von Frauen ein.

Die ersten Hauswirtschaftskurse umfassten verschiedene wissenschaftliche Disziplinen, um die Arbeit von Frauen zu professionalisieren und sie von der Hausarbeit zu befreien. Die Frauen sollten mehr Zeit für andere Dinge als nur Kochen und Putzen haben, z. B. für ihre Ausbildung. Die Hauswirtschaft sollte es mehr Frauen ermöglichen, eine Hochschule zu besuchen, da sie lernen sollten, sich besser um Haushalt und Familie zu kümmern.

Obwohl viele diesen Bereich als sexistisch betrachten, waren der Hauswirtschaft feministische Prinzipien nicht fremd, sondern ganz im Gegenteil. Im Jahr 1899 brachte Richards fortschrittliche Frauen zusammen, um den Lehrplan für die Kurse zu entwickeln, die dank der Bemühungen von Ellen Swallow Richards und Catherine Beecher zu einem organisierten Studium wurden. Sie gründeten die American Home Economics Association (heute als American Association of Family and Consumer Sciences bekannt). Die Vereinigung hielt jährliche Versammlungen ab, um Druck auf die Regierung auszuüben, mehr Mittel zu beschaffen. Richards war bis zu ihrem Tod im Jahr 1911 Präsidentin der Vereinigung.

Farmers‘ Wives

Ellen Swallow Richards und Catherine Beecher waren nicht die einzigen Frauen, die sich für die häusliche Erziehung einsetzten. Im Jahr 1862 führte das Morrill-Gesetz zur Gründung von Universitäten, damit Tausende von Landwirten eine höhere Ausbildung erhalten konnten. Viele dieser Universitäten boten Hauswirtschaftskurse für Frauen an. Ziel war es, dass sie den Haushalt besser führen und bei der landwirtschaftlichen Arbeit mithelfen konnten.

Zu den Personen, die Frauen unterrichteten, gehörten Martha Van Rensselaer, eine Lehrerin, und Flora Rose, eine Ernährungswissenschaftlerin, die am New York State College of Agriculture, das zur Cornell University gehörte, Kurse gaben. Im Jahr 1912 wurden sie zu Co-Direktoren der Abteilung für Hauswirtschaft an dieser Einrichtung ernannt.

Im Gegensatz zu den wissenschaftlich orientierten Kursen von Ellen Swallow Richards waren die Kurse in Cornell eher experimentell. Den Studenten wurde ein echtes Baby aus einem Waisenhaus zugewiesen, und die Frauen wurden in den neuesten Theorien über Kindererziehung unterrichtet. Am Ende des Schuljahres wurden die Säuglinge zur Adoption freigegeben. Bis 1950 nahmen mehr als 50 Hochschulen „Übungsbabys“ in ihre Lehrpläne auf.

Die sieben Bereiche der Hauswirtschaft

Um sicherzustellen, dass die Studentinnen lernten, ihr Haus und ihre Familie besser zu führen, teilten Richards und Beecher das Studium der Hauswirtschaft in sieben Bereiche ein: Kochen, Kindesentwicklung, Erziehung und Gemeinschaftsbewusstsein, Verwaltung und Gestaltung des Hauses, Nähen und Textilien, Haushalt und Sparen sowie Gesundheit und Hygiene.

  • Kochen: Dieser Bereich ist ein grundlegender Teil der Hausarbeit, daher war es wichtig, den Frauen beizubringen, wie sie ausgewogene Mahlzeiten auf der Grundlage von Ernährungsprinzipien zubereiten können. Außerdem lernten sie, wie sie Lebensmittel sicher aufbewahren können, um Krankheiten vorzubeugen. Darüber hinaus lernten sie, wie man den Tisch deckt und Mahlzeiten für ihre Familien und Freunde organisiert.

  • Kindesentwicklung: Die Lehrer weisen den Schülern Babys aus Waisenhäusern zu. Ziel war es, etwas über die kindliche Entwicklung zu lernen und richtig auf Kinder in ihren verschiedenen Entwicklungsstadien zu reagieren.

  • Bildung und Gemeinschaftsbewusstsein: Da die Verantwortung für die Bildung der Kinder bei den Müttern lag, lernten sie, wie sie ihren Kindern am besten das Lesen oder die Grundkenntnisse der Mathematik beibringen konnten, bevor sie in die Schule kamen. Die Kinder lernten auch moralische und ethische Lektionen, um ein Bewusstsein für die Gemeinschaft zu entwickeln.

  • Hauswirtschaft und Design: In diesem Bereich wurden die wesentlichen Gestaltungselemente für die Wohnungseinrichtung und die besten Methoden zur Aufrechterhaltung der Ordnung im Haus vermittelt. Zu den Themen gehörten Sauberkeit und Organisation, da diese Aufgaben im Haushalt ausschließlich den Frauen zugewiesen wurden.

  • Nähen und Textilien: Nähen war für viele Frauen notwendig. Es ermöglichte ihnen, Kleidung für sich und ihre Kinder herzustellen und bei Bedarf zu reparieren, damit sie länger hielt. Die Schülerinnen und Schüler lernten alles, vom Befolgen eines Schnittmusters bis hin zum Wissen, welches Material man am besten kaufen sollte.

  • Haushalt und Wirtschaft: Eine wesentliche Fähigkeit zur Führung eines effizienten Haushalts für Frauen war das Anlegen eines Kontos. Damals wie heute war es üblich, dass Frauen alle Einkäufe für die Familie erledigten, daher war es wichtig, dass sie lernten, wie man Geld sinnvoll einsetzt.

  • Gesundheit und Hygiene: Ebenso wichtig ist es für junge Frauen, zu wissen, wie man Lebensmittel zubereitet und konserviert, um Krankheiten vorzubeugen, und wie man Kranke richtig pflegt. Von der Hygiene bis zur Ernährung müssen sie wissen, wie man sich in einer Zeit der Volkskrankheiten um die Kranken kümmert.

Für die Wiedereinführung der Hauswirtschaftslehre

Mit 17 oder 18 Jahren verlassen viele Schülerinnen ihr Zuhause, um an einer Universität in einer anderen Stadt zu studieren und in die „wirkliche Welt“ einzutreten. Sie werden für ihre Unabhängigkeit gepriesen, stellen aber bald fest, dass sie nicht wissen, wie man nahrhafte Mahlzeiten kocht oder ein monatliches Budget aufstellt, ganz zu schweigen vom Nähen eines Knopfes oder der Pflege eines kranken Partners.

Es geht nicht nur darum, Schülern das Lösen von Trigonometrieaufgaben beizubringen, sondern auch darum, Frauen und Männern nützliches Wissen zu vermitteln, das sie im Alltag brauchen könnten. Laut einer Studie über Hauswirtschaft und Familien- und Verbraucherwissenschaften ist es nicht notwendig, die Unterrichtsstunden zu reduzieren, um Hauswirtschaft in den Lehrplan aufzunehmen. Lesen, Rechnen und Schreiben können beispielsweise in den Unterricht über Ernährung oder Haushaltsführung integriert werden.

In ihrem Meinungsbeitrag für die New York Times stellt Helen Zoe Veit, außerordentliche Professorin für Geschichte an der Michigan State University, fest, dass „die Grundprinzipien der Gesundheits- und Hygienedisziplin im Laufe der Zeit so weit verbreitet wurden, dass sie wie gesunder Menschenverstand erschienen. Infolgedessen wurden die frühen Befürworterinnen (der Hauswirtschaft) als einfache Jungfern angesehen und nicht als die innovativen und wissenschaftlichen Frauen, die sie waren“. Dr. Veit stellt auch fest, dass in diesem Bereich Stereotypen vorherrschen. Hauswirtschaftskurse werden als Frauenkurse angesehen, und es wird vergessen, wie wichtig es für alle Menschen, Männer wie Frauen, ist, etwas über Ernährung, Gesundheit und ein sauberes Zuhause zu wissen.

Von 1975 bis 2019 hat sich die Fettleibigkeit in Lateinamerika verdreifacht, und die Unterernährung ist seit 2014 um 11 % gestiegen. Ein Teil des Problems ist auf verarbeitete Lebensmittel und Junkfood zurückzuführen sowie auf den Zeitmangel der Familien, für ihre Kinder zu kochen. Ein weiteres Problem ist, dass junge Menschen nicht wissen, wie sie sich selbst eine ausgewogene Mahlzeit zubereiten können. Hier kann der Hauswirtschaftsunterricht hilfreich sein.

England zum Beispiel hat 2014 damit begonnen, allen Kindern in Grund- und weiterführenden Schulen Ernährungserziehung zukommen zu lassen. Im selben Jahr wurden dänische Schulen von der Regierung verpflichtet, Ernährungslehre zu unterrichten, um die Ernährung der Schülerinnen und Schüler zu verbessern.

Im Jahr 2010 argumentierten die Autoren Alice H. Lichtenstein und David S. Ludwig in einem im Journal of the American Medical Association veröffentlichten Artikel, dass der Unterricht in diesem Bereich zur Bekämpfung von Fettleibigkeit bei Kindern beitragen könnte, indem er jungen Menschen nicht nur die Grundlagen des Kochens, sondern auch der Ernährung vermittelt.

Kateika: das japanische Beispiel

Japanische Schulen unterrichten Hauswirtschaft (kateika 家庭科 auf Japanisch) in der fünften Klasse und setzen es während der Mittel- und Oberstufe fort. Die Schüler lernen in diesen Klassen alles, vom Kochen, der Planung von Mahlzeiten und dem Einkaufen bis hin zum Nähen und dem Bau von Holzmöbeln.

Diese Aktivitäten wurden 1947 in der Hoffnung, die Gleichberechtigung der Geschlechter in die Haushalte zu bringen, zur Pflicht gemacht. Selbst führende Persönlichkeiten des Landes, wie Takuya Mitani, ein Planer für Gesundheitserziehung im japanischen Bildungsministerium, führen die Angleichung der Geschlechterrollen auf die Hauswirtschaft zurück. Tadaharu Minamino, der erste männliche Hauswirtschaftslehrer in der Präfektur Osaka, sagte dazu gegenüber CBC Radio Canada: „Die Menschen wären heute nicht so gesund, und die Gleichstellung der Geschlechter wäre nicht so weit verbreitet. Die Jungen lernen auch zu nähen und zu babysitten. Deshalb haben wir jetzt diese jüngere Generation von Männern, die sich an der Erziehung ihrer Kinder beteiligen.“

Um an diesen Punkt zu gelangen, musste kateika jedoch seine Ziele ändern und sich den aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen anpassen. Zunächst ging es darum, Fähigkeiten für das tägliche Leben zu vermitteln und junge Menschen unabhängig zu machen, aber jetzt geht es nicht mehr nur darum, sondern auch darum, Problemlösungen zu vermitteln. Die Integration des Fachs ist darauf zurückzuführen, dass die Japaner der Meinung sind, dass die Schüler lernen sollten, mit allen Problemen, die in der Zukunft auftreten, umzugehen; daher ist es wichtig, ihnen beizubringen, verschiedene Lösungen zu bewerten und die beste auszuwählen.

Angefangen vom Unterricht über die effektivere Erledigung der Hausarbeit, damit die Frauen Zeit zum Lernen haben, bis hin zur Bekämpfung der Fettleibigkeit ist die Hauswirtschaft ein Bereich, der die Gesellschaft maßgeblich beeinflusst.

Wenn viel über Soft Skills oder Power Skills gesprochen wird, ist es wichtig, wesentliche Lebenskompetenzen nicht zu vergessen. Diese sind vielleicht nicht das, was Arbeitgeber suchen, aber es sind die Fähigkeiten, die dem Schüler helfen, sich besser an das Erwachsenenleben anzupassen und die er jeden Tag anwenden kann.

Übersetzung von Daniel Wetta.

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