Mythologie und Folklore des Wolfes
Es gibt nur wenige Tiere auf der Erde, die so starke Emotionen hervorrufen wie der Wolf, oder die so sehr unter Missverständnissen gelitten haben. Trotz seines wilden Rufs ist er ein scheues, intelligentes und schwer fassbares Wesen. Es gibt viele Wolfsgeschichten, die von Angst, Bewunderung, Ehrfurcht und Abscheu umhüllt sind. In Jäger- und Sammlergesellschaften wurde der Wolf wegen seiner unglaublichen Sinne und Jagdfähigkeiten oft respektiert. Doch mit dem Aufkommen der Landwirtschaft nahmen die Konflikte mit dem Menschen zu. Wölfe stellten eine Bedrohung für den Viehbestand dar und wurden auch als Konkurrenz für das Wildbret wahrgenommen.
In Schottland und in ganz Nordeuropa und Amerika wurde der Wolf rücksichtslos gejagt und in vielen Gebieten ausgerottet. In Schottland verfügte König Dorvadilla bereits im 2. Jahrhundert v. Chr., dass jeder, der einen Wolf tötet, mit einem Ochsen belohnt wird. Im 15. Jahrhundert ordnete Jakob der Erste von Schottland die Ausrottung der Wölfe in seinem Königreich an. Legenden vom „letzten Wolf“ gibt es in vielen Teilen Schottlands. Der allerletzte wurde angeblich 1743 in der Nähe des Flusses Findhorn von einem Stalker namens MacQueen getötet. Die historische Richtigkeit dieser Geschichte ist jedoch gelinde gesagt zweifelhaft.
Der gälische Name des Wolfes ist madadh-allaidh. Er lebt in einer Reihe von schottischen Ortsnamen weiter, wie Mullinavaddie (‚Mill of the wolf‘) in Perthshire, sowie Lochmaddy und Craigmaddy. Ein Hügel gegenüber dem Dundreggan Estate von Trees for Life heißt Creag a Mhadaidh, was so viel bedeutet wie „Felsen des Wolfes“.
Die Bilder, die in Wolfsgeschichten vermittelt werden, sind unterschiedlich: In vielen werden Wölfe als rücksichtslos und wild dargestellt, in anderen haben sie ein Image von Edelmut und Loyalität. In der nordischen Mythologie war der Wolf Fenrir ein Symbol für das Chaos, das Odin schließlich ganz verschlingt. Der Wolf wurde jedoch auch mit Kriegern assoziiert, und Odin hatte zwei Wölfe als treue Gefährten.
Wir alle kennen Märchen wie Rotkäppchen und Die drei kleinen Schweinchen. Interessant ist, dass der Wolf in der europäischen Folklore oft als Bedrohung für den Menschen dargestellt wird. Zwar gibt es Aufzeichnungen über Angriffe auf Menschen, doch sind diese so selten und das statistische Risiko eines Angriffs so gering, dass sie als deutliches Beispiel für die Macht der Fantasie dienen, eine wahrgenommene Bedrohung zu übertreiben. Es ist eine Tatsache, dass Haushunde, Pferde und arbeitsbedingter Stress weitaus gefährlicher sind als Wölfe!
Im Gegensatz dazu gibt es eine Reihe von Volksmärchen, in denen es um Menschenkinder geht, die von Wölfen aufgezogen werden. Die römische Geschichte von Romulus und Remus und natürlich Mowgli in Kiplings Dschungelbuch sind klassische Beispiele. Solche Geschichten spiegeln den starken Mutterinstinkt wider, der Wölfen zugeschrieben wird, und Wölfe hatten in der römischen Kultur im Allgemeinen ein positives Image.
In der schottischen Folklore gibt es Geschichten über den Wolf und den Fuchs. In diesen wird der Wolf als etwas leichtgläubiger dargestellt als der schlaue Fuchs. In einer Geschichte betrügt der Fuchs den Wolf um ein ganzes Fass Butter, und in einer anderen führt die List des Fuchses dazu, dass der Wolf seinen Schwanz verliert!
Wölfe waren dafür bekannt, menschliche Leichen auszugraben, und aus diesem Grund wurden die Leichen oft auf Inseln begraben, wie z. B. auf Handa vor der Nordwestküste Schottlands. Die Kirche brachte die Wölfe oft mit dem Teufel in Verbindung, was ihre Ausrottung noch stärker begünstigte.
Werwolfslegenden waren bis vor kurzem vor allem in Teilen Osteuropas verbreitet. Das schottische Pendant ist die Legende vom Wulver auf den Shetlandinseln. Der Wulver soll den Körper eines Menschen und den Kopf eines Wolfes haben. Er wurde gewöhnlich auf einem Felsen sitzend beim Fischen gesehen und hinterließ dann ein Fischgeschenk auf den Fensterbänken der Menschen – kein gewöhnlicher Werwolf!
Der Wolf hat unsere Kultur durch seine Präsenz in unzähligen Geschichten und nicht-fiktionalen Werken der Naturliteratur bereichert. Aldo Leopold, der amerikanische Ökologe des 20. Jahrhunderts, nannte ihn poetisch „den Maler der Berge“. Damit würdigte er seine Rolle bei der Aufrechterhaltung des Gleichgewichts im Ökosystem durch die Regulierung des Wildbestands. In A Sand County Almanac schrieb Leopold einen eindrucksvollen Bericht über eine Begegnung mit einem Wolf, den er erlegt hatte:
‚Wir erreichten die alte Wölfin rechtzeitig, um zu sehen, wie ein wildes grünes Feuer in ihren Augen erlosch. Damals erkannte ich, und ich weiß es seither, dass in diesen Augen etwas für mich Neues lag – etwas, das nur sie und der Berg kannten. Damals war ich jung und voller Schießwut; ich dachte, dass weniger Wölfe mehr Wild bedeuten und dass keine Wölfe ein Paradies für Jäger bedeuten würden. Aber nachdem ich das grüne Feuer sterben sah, spürte ich, dass weder der Wolf noch der Berg mit einer solchen Sichtweise einverstanden waren.‘
Quellen &weiterführende Literatur
- Anon, 2007. Scottish Folk Tales. Lomond Books: New Lanark. (Zugriff im Februar 2021)
- Crumley, J. (2010) The Last Wolf. Birlinn: Edinburgh.
- Leopold, A. (1949). A Sand County Almanac. Oxford University Press: Oxford.
- Lopez, B. (1978) Of Wolves and Men. Touchstone: New York.
- 0’Connor, T. & Sykes, N. (2010) Extinctions and Invasions: A Social History of British Fauna. Windgather Press: Oxford
- Short, J. / Wolves and Humans Wolf’s Tale – The history of the wolf in Scotland (Accessed February 2021)
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