Trauma in der Kindheit führt zu einem für Angst verdrahteten Gehirn

Misshandlung und Vernachlässigung in der Kindheit können die Entwicklung des Gehirns nachhaltig beeinflussen.
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Negative Kindheitserfahrungen können unser Gehirn so einstellen, dass wir ständig Gefahr und Angst spüren, sagt der Psychiater und Experte für traumatischen Stress Bessel van der Kolk. Er ist der Autor des kürzlich erschienenen Buches The Body Keeps the Score: Brain, Mind, and Body in the Healing of Trauma.

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Ein Bericht der University of San Diego School of Law ergab, dass im Jahr 2013 etwa 686.000 Kinder Opfer von Missbrauch und Vernachlässigung wurden. Traumatische Ereignisse in der Kindheit können später im Leben zu psychischen Gesundheits- und Verhaltensproblemen führen, erklärt der Psychiater Bessel van der Kolk, Autor des kürzlich erschienenen Buches „The Body Keeps the Score: Brain, Mind, and Body in the Healing of Trauma“.

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Das Gehirn von Kindern wird buchstäblich durch traumatische Erfahrungen geformt, was im Erwachsenenalter zu Problemen mit Wut, Sucht und sogar kriminellen Aktivitäten führen kann, sagt van der Kolk. Side Effects-Produzentin Barbara Lewis sprach mit ihm über sein Buch.

Barbara Lewis: Können psychologisch traumatische Ereignisse die physische Struktur des Gehirns verändern?

Dr. Bessel van der Kolk: Ja, sie können die Verbindungen und Aktivierungen im Gehirn verändern. Sie formen das Gehirn.

Das menschliche Gehirn ist ein soziales Organ, das durch Erfahrungen geformt wird, und das geformt wird, um auf die Erfahrungen zu reagieren, die man macht. Besonders zu Beginn des Lebens, wenn man sich in einem ständigen Zustand des Schreckens befindet, ist das Gehirn so geformt, dass es vor Gefahren auf der Hut ist und versucht, diese schrecklichen Gefühle zu verdrängen.

Das Gehirn wird sehr verwirrt. Und das führt zu Problemen mit übermäßiger Wut, übermäßigem Abschalten und Dingen wie der Einnahme von Drogen, damit man sich besser fühlt. Diese Dinge sind fast immer das Ergebnis eines Gehirns, das darauf eingestellt ist, sich in Gefahr und Angst zu fühlen.

Wenn man heranwächst und ein stabileres Gehirn bekommt, können diese frühen traumatischen Ereignisse immer noch Veränderungen verursachen, die einen übermäßig wachsam gegenüber Gefahren und unterdurchschnittlich wachsam gegenüber den Freuden des täglichen Lebens machen.

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BL: Sie sagen also, dass das Gehirn eines Kindes viel formbarer ist als das eines Erwachsenen?

BK: Das Gehirn eines Kindes ist praktisch nicht vorhanden. Es wird durch Erfahrungen geformt.

BL: Durch welchen Mechanismus verändern traumatische Ereignisse das Gehirn?

BK: Das Gehirn wird durch Rückmeldungen aus der Umwelt geformt. Es ist ein zutiefst relationaler Teil unseres Körpers.

In einer gesunden Entwicklungsumgebung erfährt das Gehirn ein Gefühl von Freude, Engagement und Erkundung. Das Gehirn öffnet sich, um zu lernen, Dinge zu sehen, Informationen zu sammeln und Freundschaften zu schließen.

Wenn du traumatisiert bist, hast du Angst vor dem, was du fühlst, denn dein Gefühl ist immer Terror oder Angst oder Hilflosigkeit. Ich glaube, diese körperorientierten Techniken helfen dir, zu spüren, was in deinem Körper passiert, und in das Gefühl hineinzuatmen und nicht davor wegzulaufen. So lernst du, dich mit deiner Erfahrung anzufreunden.

Aber wenn du zum Beispiel in einem Waisenhaus bist und nicht berührt oder gesehen wirst, entwickeln sich ganze Teile deines Gehirns kaum; und so wirst du ein Erwachsener, der nicht in der Lage ist, sich mit anderen Menschen zu verbinden, der kein Gefühl für sich selbst, kein Gefühl der Freude hat. Wenn man nur auf Gefahr und Angst stößt, bleibt das Gehirn dabei hängen, sich nur vor Gefahr und Angst zu schützen.

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BL: Wirkt sich ein Trauma auf Kinder ganz anders aus als auf Erwachsene?

BK: Ja, aufgrund von Entwicklungsproblemen. Wenn man als Erwachsener das Leben gut gemeistert hat und dann etwas Schlimmes passiert, wird ein kleiner Teil der gesamten Struktur beschädigt. Aber toxischer Stress in der Kindheit durch Vernachlässigung oder chronische Gewalt hat tiefgreifende Auswirkungen auf die Fähigkeit, aufmerksam zu sein, zu lernen, zu verstehen, woher andere Menschen kommen, und das bringt das gesamte soziale Umfeld durcheinander.

Und das führt zu Kriminalität, Drogensucht und chronischen Krankheiten, dazu, dass Menschen ins Gefängnis kommen, und dazu, dass sich das Trauma in der nächsten Generation wiederholt.

BL: Gibt es wirksame Lösungen für Kindheitstraumata?

BK: Es ist schwierig, damit umzugehen, aber nicht unmöglich.

Eine Möglichkeit, die noch nicht so gut erforscht ist, weil es dafür noch nicht so viele Mittel gibt, ist das Neurofeedback, bei dem man den Menschen helfen kann, ihre Gehirnstrukturen neu zu verdrahten.

Eine andere Methode besteht darin, die Menschen in eine sichere Umgebung zu bringen und ihnen zu helfen, ein Gefühl der Sicherheit in sich selbst zu schaffen. Dabei kann man auf einfache Dinge wie Halten und Schaukeln zurückgreifen.

Wir haben gerade eine Studie über Yoga für Menschen mit PTSD durchgeführt. Wir haben festgestellt, dass Yoga wirksamer ist als alle Medikamente, die man bisher untersucht hat. Das bedeutet nicht, dass Yoga die Krankheit heilt, aber Yoga macht einen wesentlichen Unterschied in die richtige Richtung.

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BL: Was ist es, das bei Yoga hilft?

BK: Es geht darum, sicher zu werden, zu fühlen, was man fühlt. Wenn man traumatisiert ist, hat man Angst vor dem, was man fühlt, denn das Gefühl ist immer Terror, Angst oder Hilflosigkeit. Ich glaube, dass diese körperbasierten Techniken Ihnen helfen, zu spüren, was in Ihrem Körper passiert, und in diese Gefühle hineinzuatmen und nicht vor ihnen wegzulaufen. So lernst du, dich mit deiner Erfahrung anzufreunden.

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