Obwohl er noch immer in den Wäldern Europas anzutreffen ist, wurde der Eurasische Luchs im Vereinigten Königreich seit mehr als 1.000 Jahren nicht mehr gesehen. Diese mittelgroße Wildkatze mit ihren charakteristischen spitzen Ohren wurde im Mittelalter zum Aussterben verurteilt, weil ihre bevorzugte Beute, das Reh, nicht mehr in ausreichender Zahl vorhanden war, ihr Lebensraum schwand und sie übermäßig bejagt wurde. In jüngster Zeit hat sich der Lynx UK Trust jedoch nachdrücklich für die Wiederansiedlung des Luchses eingesetzt.
Schottland beherbergt den größten Teil der Wälder des Vereinigten Königreichs, hat eine relativ geringe Bevölkerungszahl und einen großen Bestand an Rehen. Diese Kombination von Lebensraum und Beutetieren macht es zum realistischsten Ort, um die Wiederansiedlung dieser Art in Erwägung zu ziehen.
Die Argumente für die Wiederansiedlung des Luchses sind zahlreich, von der Wiederherstellung ökologischer Prozesse über die Kontrolle der steigenden Rehbestände bis hin zu wirtschaftlichen Vorteilen durch den zunehmenden Tourismus. Diese Argumente stoßen jedoch auf erheblichen Widerstand seitens der Landwirte, die sich Sorgen um die Gefährdung des Viehbestands machen und Fragen zu den langfristigen Auswirkungen der Art und der Eignung der Landschaft für ihre Ansiedlung stellen.
Kontrovers und komplex
Die Lösung dieser Fragen wird durch das Fehlen eindeutiger Beweise für die Eignung Schottlands, die Frage, ob die Menschen die Wiederansiedlung wünschen, und die Erfolgsaussichten stark behindert. Ohne solide Beweise können keine wirksamen und fundierten Entscheidungen getroffen werden.
Die Wiederansiedlung von Großraubtieren ist überall auf der Welt oft umstritten, komplex, kostspielig und schwierig. Bei einer Art wie dem Luchs kann es bis zu 100 Jahre dauern, bis man weiß, ob eine Wiederansiedlung erfolgreich war oder nicht. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, die Dinge von Anfang an richtig anzugehen.
Unsere Arbeit nutzt modernste Computermodelle, um Klarheit zu schaffen und solide Beweise für einen Schlüsselaspekt dieser Debatte in Schottland zu liefern: Gibt es genügend geeigneten Lebensraum, um eine erfolgreiche Wiederansiedlung des Luchses zu unterstützen – und wenn ja, wo sollten die Bemühungen konzentriert werden?
Computermodellierung bietet einen sicheren und kostengünstigen Raum, um die Wirksamkeit von Vorschlägen zu testen, bevor sie in die Praxis umgesetzt werden. Daher ist jeder Fortschritt in der Modellierung, der die Entwicklungen in der ökologischen Theorie genau widerspiegelt und die spezifischen Merkmale einer bestimmten Art in Bezug auf komplexe Landschaften berücksichtigt, äußerst wertvoll.
Unsere Forschung nutzte ein Computermodell nicht nur, um verlässliche Beweise zur aktuellen Luchsdebatte in Schottland beizutragen, sondern auch, um eine Fallstudie zu liefern, die zeigt, wie unser Ansatz für die Wiederansiedlung von Tieren in anderen Teilen der Welt genutzt werden könnte.
Standort, Standort, Standort
Die International Union for Conservation of Nature (IUCN) hat sehr klare Richtlinien, wenn es darum geht, zu prüfen, ob eine Wiederansiedlung geeignet ist. Als besonders wichtig gilt der Nachweis, dass die historischen Ursachen für das Aussterben nicht mehr vorhanden sind oder eine Bedrohung für künftige Populationen darstellen. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass die Verfügbarkeit von Lebensraum und Beutetieren sowie die Gefahr der Verfolgung keine Hindernisse mehr für die Etablierung einer gesunden und überlebensfähigen Luchspopulation darstellen.
Der Reichtum an Rehen in Schottland deckt geeignete Beutetiere ab, aber das Risiko der Verfolgung hängt davon ab, ob die Öffentlichkeit die Rückkehr des Luchses wünscht. Ebenso wichtig ist die Kenntnis des Standorts, seiner Größe und der Leichtigkeit, mit der sich Luchse zwischen Waldlebensräumen bewegen können. Bis vor kurzem waren dies alles relativ unbekannte Größen, aber unsere Forschung hat das dringend benötigte Licht auf den letzten dieser Punkte geworfen.
Um fundierte Entscheidungen treffen zu können, muss man über die neuesten Informationen und die besten Hilfsmittel für diese Aufgabe verfügen. Während eine frühere Studie die Eignung Schottlands für die Wiederansiedlung des Luchses untersuchte, sind einige der verwendeten Landschaftsdaten inzwischen mehr als 30 Jahre alt.
Aber der technologische Fortschritt hat die Aussagekraft unserer Prognosen drastisch verbessert. Um diese ursprüngliche Arbeit auf den neuesten Stand zu bringen, haben wir hochauflösende Karten mit den verfügbaren Informationen für alle verschiedenen Lebensräume in ganz Schottland erstellt und uns dabei besonders auf geeignete Waldgebiete konzentriert. Dann sammelten wir detaillierte Informationen über die Ökologie des Eurasischen Luchses aus anderen Studien. Schließlich gaben wir all diese Daten in ein kürzlich entwickeltes Modell namens „RangeShifter“ ein, das darauf ausgelegt ist, realistische Bewegungsmuster von Tieren in komplexen Landschaften zu erfassen.
Nachdem all diese Teile vorhanden waren, konnten wir 100-Jahres-Simulationen durchführen, um zu testen, welche Gebiete in Schottland, die zuvor als potenzielle Auswilderungsgebiete identifiziert worden waren, im Hinblick auf die aktuelle Verfügbarkeit von Lebensraum am besten für eine Wiederansiedlung geeignet wären.
Ein klarer Gewinner
Die drei von uns in Betracht gezogenen Standorte waren Aberdeenshire im Nordosten Schottlands, die Halbinsel Kintyre an der Westküste und der schottische Teil des Kielder Forest in den Borders, allesamt Gebiete, die bereits in der Vergangenheit vorgeschlagen worden waren. Unabhängig davon, wie wir den Erfolg messen wollten – und unabhängig von den Änderungen, die wir an den Modellparametern vornahmen (z.B. wie viele Jungtiere die Luchse haben würden oder wie lange sie leben würden) – die Kintyre-Halbinsel war immer die beste.
Teile des Kielder Forest standen in letzter Zeit im Mittelpunkt der Debatte. Unsere Ergebnisse zeigen jedoch, dass der schottische Teil dieses Waldes immer der am wenigsten geeignete Standort war. Auf der Halbinsel Kintyre besteht eine 83%ige Chance, dass 100 Jahre nach der Freilassung von 10 Luchsen noch eine gute Population vorhanden ist. Im Gegensatz dazu gab es in Aberdeenshire eine 35%ige Chance auf Erfolg, aber im Kielder Forest gab es nur eine 21%ige Chance, dass eine Population nach einem Jahrhundert noch existieren würde.
Besonders wichtig ist, dass wir gezeigt haben, dass die schottischen Highlands, die Region, in der die Kintyre-Halbinsel und der größte Teil des geeigneten Lebensraums liegt, vollständig vom Lebensraum südlich des „Central Belt“ von Glasgow und Edinburgh, einschließlich des Kielder Forest, abgeschnitten ist. Dies gibt Anlass zur Sorge über die langfristige Überlebensfähigkeit des Gebiets für eine Luchspopulation, da sie nicht in der Lage wäre, die Highlands zu erreichen und zu besiedeln.
Unsere Arbeit untersucht nicht den politischen Willen oder die öffentliche Meinung in Bezug auf die Wiederansiedlung des Luchses – beides sind wesentliche Überlegungen bei der Planung einer Wiederansiedlung -, aber sie ist ein ermutigender Schritt nach vorn und zeigt, dass die schottische Landschaft geeignet ist, den Luchs in Zukunft zu beherbergen und zu erhalten. Und das hängt vor allem vom Standort ab.
Die neuartige Anwendung dieses Modells auf die Wiederansiedlungsplanung ist sehr vielversprechend, nicht nur für die Luchsdebatte in Schottland, sondern auch für den Schutz von Großraubtieren und anderen Arten auf der ganzen Welt.