Antiker griechischer Tempel

Eines der Kriterien, nach denen griechische Tempel klassifiziert werden, ist die klassische Ordnung, die als ästhetisches Grundprinzip gewählt wurde. Diese Wahl, die selten völlig frei war, sondern in der Regel durch Tradition und lokale Gewohnheiten bestimmt wurde, führte zu sehr unterschiedlichen Gestaltungsregeln. Nach den drei Hauptordnungen lassen sich grundsätzlich der dorische, der ionische und der korinthische Tempel unterscheiden.

Dorische TempelBearbeiten

Der Hephaistos-Tempel in Athen, der besterhaltene dorische Tempel Griechenlands.

Das moderne Bild der griechischen Tempelarchitektur ist stark von den zahlreichen, recht gut erhaltenen Tempeln der dorischen Ordnung geprägt. Vor allem die Ruinen Süditaliens und Siziliens waren für westliche Reisende schon früh in der Entwicklung der Altertumswissenschaft zugänglich, z.B. die Tempel von Paestum, Akragas oder Segesta, aber auch das Hephaisteion und der Parthenon von Athen beeinflussten schon früh die Wissenschaft und die klassizistische Architektur.

AnfängeBearbeiten

Die Anfänge des griechischen Tempelbaus in dorischer Ordnung lassen sich bis in das frühe 7. Jahrhundert v. Chr. zurückverfolgen. Mit dem Übergang zur Steinarchitektur um 600 v. Chr. war die Ordnung voll entwickelt; von da an wurden nur noch Details verändert, weiterentwickelt und verfeinert, meist im Zusammenhang mit der Bewältigung der Herausforderungen, die der Entwurf und der Bau monumentaler Tempel mit sich brachte.

Erste monumentale TempelEdit

Neben frühen Formen, gelegentlich noch mit Apsidenrückseiten und Walmdächern, tauchen schon recht bald, vor 600 v. Chr., die ersten 30 m hohen Peripteraltempel auf. Ein Beispiel ist der Tempel C in Thermos, ca. 625 v. Chr., ein 30 m langer Hekatompedos, der von einer Peristasis aus 5 × 15 Säulen umgeben ist und dessen Naos durch eine zentrale Säulenreihe in zwei Schiffe unterteilt ist. Das vollständig dorische Gebälk ist durch bemalte Tontafeln, wahrscheinlich frühe Beispiele für Metopen, und Triglyphen aus Ton gekennzeichnet. Es scheint, dass alle Tempel, die im 7. Jahrhundert v. Chr. im Einflussbereich von Korinth und Argos errichtet wurden, dorische Peripteroi waren. Die frühesten Steinsäulen wiesen nicht die schlichte Gedrungenheit der hoch- und spätarchaischen Exemplare auf, sondern spiegelten vielmehr die Schlankheit ihrer hölzernen Vorgänger wider. Bereits um 600 v. Chr. wurde die Forderung nach Einsehbarkeit von allen Seiten an den dorischen Tempel herangetragen, was zur Spiegelung des frontalen Pronaos durch einen Opisthodomos an der Rückseite führte. Diese frühe Forderung setzte sich bei den dorischen Tempeln vor allem im griechischen Mutterland fort. Weder die ionischen Tempel, noch die dorischen Exemplare in Magna Graecia folgten diesem Prinzip. Mit der zunehmenden Monumentalisierung der Steinbauten und der Verlagerung der hölzernen Dachkonstruktion auf die Ebene des Geison wurde die feste Beziehung zwischen Naos und Peristasis aufgehoben. Dieses Verhältnis zwischen den Achsen von Wänden und Säulen, das bei kleineren Bauten fast selbstverständlich war, blieb fast ein Jahrhundert lang unbestimmt und ohne feste Regeln: die Position des Naos „schwebte“ innerhalb der Peristasis.

Die dorischen Säulen des Heraion von Olympia

Tempel in SteinbauweiseBearbeiten

Das Heraion von Olympia (um 600 v. Chr.)Bearbeiten

Das Heraion von Olympia (um 600 v. Chr.) ist ein Beispiel für den Übergang von der Holz- zur Steinbauweise. Bei diesem ursprünglich ganz aus Holz und Lehmziegeln errichteten Gebäude wurden die Holzsäulen im Laufe der Zeit durch Steinsäulen ersetzt. Wie ein Museum dorischer Säulen und dorischer Kapitelle enthält es Beispiele aus allen chronologischen Phasen bis hin zur römischen Epoche. Eine der Säulen im Opisthodomos blieb mindestens bis zum 2. Jahrhundert n. Chr., als Pausanias sie beschrieb, aus Holz. Dieser 6 × 16-Säulen-Tempel verlangte bereits nach einer Lösung des dorischen Eckkonflikts. Sie wurde durch eine Verringerung der Eckstützen erreicht, die so genannte Eckkontraktion. Das Heraion ist hinsichtlich des Verhältnisses von Naos und Peristasis am weitesten fortgeschritten, da es die Lösung verwendet, die Jahrzehnte später kanonisch wurde: eine lineare Achse, die entlang der Außenflächen der äußeren Naoswände und durch die Mittelachse der zugehörigen Säulen verläuft. Die Unterscheidung zwischen breiteren Interkolumnien an den Schmalseiten und schmaleren an den Längsseiten war ebenfalls ein einflussreiches Merkmal, ebenso wie die Positionierung der Säulen innerhalb des Naos, die mit denen an der Außenseite korrespondierten, ein Merkmal, das erst 150 Jahre später beim Bau des Tempels in Bassae wiederholt wurde.

Artemis-Tempel, Kerkyra (frühes 6. Jh. v. Chr.)Bearbeiten

Der älteste dorische Tempel, der vollständig aus Stein gebaut wurde, ist der Artemis-Tempel in Kerkyra (modernes Korfu) aus dem frühen 6. Alle Teile dieses Gebäudes sind wuchtig und schwer, seine Säulen erreichen eine Höhe, die kaum das Fünffache ihres unteren Durchmessers beträgt, und standen sehr eng beieinander, mit einem Zwischenraum von einer einzigen Säulenbreite. Die einzelnen Glieder der dorischen Ordnung unterscheiden sich erheblich vom späteren Kanon, obwohl alle wesentlichen dorischen Merkmale vorhanden sind. Sein Grundriss mit 8 mal 17 Säulen, wahrscheinlich pseudoperipteral, ist ungewöhnlich.

Archaisches Olympieion, AthenEdit

Unter den dorischen Tempeln nimmt das peisistratidische Olympieion in Athen eine Sonderstellung ein. Obwohl dieses Gebäude nie vollendet wurde, hat sein Architekt offenbar versucht, den ionischen Dipteros zu adaptieren. In die späteren Fundamente eingebaute Säulentrommeln deuten darauf hin, dass er ursprünglich als dorischer Tempel geplant war. Sein Grundriss lehnt sich jedoch so eng an die ionischen Vorbilder von Samos an, dass eine solche Lösung nur schwer mit einem dorischen Triglyphenfries in Einklang zu bringen wäre. Nach der Vertreibung des Hippias im Jahr 510 v. Chr. wurde die Arbeit an diesem Bauwerk eingestellt: Das demokratische Athen hatte keine Lust, ein Monument tyrannischer Selbstverherrlichung fortzusetzen.

Klassische Periode: KanonisierungBearbeiten

Abgesehen von dieser Ausnahme und einigen Beispielen in den experimentelleren Poleis Großgriechenlands blieb der klassische dorische Tempeltypus der Peripteros. Seine Vervollkommnung war eine Priorität der künstlerischen Bemühungen während der gesamten klassischen Periode.

Zeustempel, Olympia (460 v. Chr.)Bearbeiten
Ruine des Zeustempels in Olympia.

Die kanonische Lösung wurde recht bald von dem Architekten Libon von Elis gefunden, der um 460 v. Chr. den Zeustempel in Olympia errichtete. Mit seinen 6 × 13 Säulen bzw. 5 × 12 Zwischenpfeilern war dieser Tempel völlig rational konzipiert. Seine Säulenfelder (Achse zu Achse) messen 16 Fuß (4,9 m), eine Triglyphe + Metope 8 Fuß (2,4 m), ein Mutulus plus der angrenzende Raum (Via) 4 Fuß (1,2 m), die Ziegelbreite des Marmordaches beträgt 2 Fuß (0,61 m). Die Säulen sind mächtig, mit nur einer leichten Entasis; der Echinus der Kapitelle ist bereits fast linear bei 45°. Der gesamte Überbau ist von Krümmungen betroffen. Der Naos misst genau 3 × 9 Säulenabstände (Achse zu Achse), seine Außenwandflächen sind auf die Achsen der benachbarten Säulen ausgerichtet.

Andere kanonische klassische TempelBearbeiten

Die klassische Proportion, 6 × 13 Säulen, wird von zahlreichen Tempeln aufgegriffen, z. B. dem Apollontempel auf Delos (um 470 v. Chr.), dem Hephaistos-Tempel in Athen und dem Poseidontempel auf Kap Sounion. Eine leichte Variante mit 6 × 12 Säulen oder 5 × 11 Zwischenpfeilern kommt ebenso häufig vor.

Der Parthenon (450 v. Chr.)
Grundriss des Parthenon, beachte Dreifachkolonnade im Naos und Säulenraum auf der Rückseite.

Das Parthenon behält die gleichen Proportionen bei, allerdings in einem größeren Maßstab von 8 × 17 Säulen, folgt aber den gleichen Prinzipien. Trotz der acht Säulen auf der Vorderseite ist der Tempel ein reiner Peripteros, seine äußeren Naoswände fluchten mit den Achsen der 2. und 7. Säule. Im Übrigen zeichnet sich das Parthenon als außergewöhnliches Beispiel in der Masse der griechischen Peripteroi durch viele markante ästhetische Lösungen im Detail aus.

Das Parthenon.

So sind beispielsweise die Antae von Pronaos und Opisthodomos verkürzt, um einfache Säulen zu bilden. Statt längerer Antae gibt es im Inneren der Peristasis auf der Vorder- und Rückseite prostyle Kolonnaden, die ionische Gewohnheiten widerspiegeln. Auch die Ausführung des Naos mit einem westlichen Raum mit vier Säulen ist außergewöhnlich. Bereits der archaische Vorgängerbau des Parthenon enthielt einen solchen Raum. Alle Maße im Parthenon sind durch das Verhältnis 4:9 bestimmt. Sie bestimmt das Verhältnis von Säulenbreite zu Säulenabstand, von Breite zu Länge der Stylobate und des Naos ohne Antae. Das Verhältnis von Breite zu Höhe des Tempels bis zum Geison wird durch das umgekehrte Verhältnis 9:4 bestimmt, das gleiche Verhältnis zum Quadrat, 81:16, bestimmt die Länge des Tempels zur Höhe. All diese mathematische Strenge wird durch die oben erwähnten optischen Verfeinerungen gelockert und aufgelockert, die sich auf das gesamte Gebäude auswirken, von Schicht zu Schicht und von Element zu Element. 92 gemeißelte Metopen schmücken seinen Triglyphenfries: Zentauromachie, Amazonomachie und Gigantomachie sind seine Themen. Die Außenwände des Naos werden von einem Figurenfries gekrönt, der den gesamten Naos umgibt und die Panathenäische Prozession sowie die Versammlung der Götter abbildet. Großformatige Figuren schmücken die Giebel an den Schmalseiten. Diese Verbindung von strengen Prinzipien und kunstvollen Raffinessen macht den Parthenon zum paradigmatischen Tempel der Klassik. Der kurz nach dem Parthenon errichtete Hephaistos-Tempel in Athen verwendet dieselben ästhetischen und proportionalen Prinzipien, ohne sich so genau an die 4:9-Proportion zu halten.

Der Tempel des Zeus in Nemea.

Spätklassisch und hellenistisch: wechselnde ProportionenBearbeiten

Im 4. Jahrhundert v. Chr. wurden einige dorische Tempel mit 6 × 15 oder 6 × 14 Säulen errichtet, die sich wahrscheinlich auf lokale archaische Vorgängerbauten bezogen, z. B. den Zeustempel in Nemea und den Athenatempel in Tegea. Im Allgemeinen folgten die dorischen Tempel der Tendenz, ihre Aufbauten zu vereinfachen. Die Säulen wurden schmaler, die Zwischenpfeiler breiter. Dies zeigt eine zunehmende Anpassung an die Proportionen und das Gewicht ionischer Tempel, die sich in einer fortschreitenden Tendenz der ionischen Tempel widerspiegelte, etwas schwerer zu werden. Angesichts dieser gegenseitigen Beeinflussung überrascht es nicht, dass im Zeustempel von Nemea aus dem späten 4. Jahrhundert v. Chr. die Vorderseite durch einen zwei Interkolumnien tiefen Pronaos hervorgehoben wird, während der Opisthodomos unterdrückt wird. Die Frontalität ist ein Hauptmerkmal ionischer Tempel. Die Betonung des Pronaos fand sich bereits im etwas älteren Athenatempel von Tegea, wurde dort aber im Opisthodomos wiederholt. In beiden Tempeln setzte sich die Tendenz zu reicher ausgestatteten Innenräumen fort, in beiden Fällen mit verschränkten oder vollen Säulen der korinthischen Ordnung.

Die zunehmende Reduzierung der Säulenanzahl entlang der Längsseiten, die bei ionischen Tempeln deutlich sichtbar ist, spiegelt sich in dorischen Bauten wider. Ein kleiner Tempel in Kournó hat eine Peristasis von nur 6 × 7 Säulen, eine Stylobate von nur 8 × 10 m und nach vorne als Pilaster ausgeführte Ecken. Die Peristasis monumentaler dorischer Tempel ist hier nur angedeutet; die Funktion als einfacher Baldachin für den Schrein der Kultstatue ist klar.

Dorische Tempel in Magna GraeciaEdit

Sizilien und Süditalien nahmen an diesen Entwicklungen kaum teil. Hier fanden die meisten Tempelbauten im 6. und 5. Jahrhundert v. Chr. statt. Später zeigten die Westgriechen eine ausgeprägte Tendenz, ungewöhnliche architektonische Lösungen zu entwickeln, die in den Mutterpolis ihrer Kolonien mehr oder weniger undenkbar waren. So gibt es zwei Beispiele für Tempel mit ungerader Säulenzahl an der Vorderseite, den Tempel der Hera I in Paestum und den Tempel des Apollo A in Metapontum. Beide Tempel hatten Fronten mit neun Säulen.

Die technischen Möglichkeiten der Westgriechen, die weiter fortgeschritten waren als die im Mutterland, ließen viele Abweichungen zu. Zum Beispiel erlaubten die im Westen entwickelten Neuerungen bei der Konstruktion des Gebälks die Überbrückung viel größerer Räume als zuvor, was zu sehr tiefen Peristasen und breiten Naoi führte. Die Peristaseis hatte oft eine Tiefe von zwei Säulenabständen, z. B. im Tempel der Hera I, Paestum, und in den Tempeln C, F und G in Selinus, was sie als Pseudodipteroi klassifiziert. Der Opisthodomos spielte nur eine untergeordnete Rolle, kam aber manchmal vor, z. B. im Poseidontempel in Paestum. Weitaus häufiger verfügten die Tempel über einen separaten Raum am hinteren Ende des Naos, dessen Betreten meist verboten war, das Adyton. In einigen Fällen war das Adyton ein freistehender Bau innerhalb des Naos, z. B. der Tempel G in Selinus. Wenn möglich, wurden Säulen innerhalb des Naos vermieden, was offene Dachkonstruktionen von bis zu 13 m Breite ermöglichte.

Das größte derartige Bauwerk war das Olympieion von Akragas, ein 8 × 17 Säulen umfassender Peripteros, aber in vielerlei Hinsicht ein absolut „ungriechisches“ Bauwerk, ausgestattet mit Details wie verlobten, figürlichen Säulen (Telamons) und einer teilweise durch Mauern abgeschlossenen Peristasis. Mit Außenmaßen von 56 × 113 m war es das größte dorische Gebäude, das je fertiggestellt wurde. Zeigten die Kolonien schon in den Grundzügen eine bemerkenswerte Eigenständigkeit und Experimentierfreudigkeit, so taten sie dies noch mehr in den Details. So konnten z.B. die Unterseiten der dorischen Geisa mit Kassetten anstelle von Mutuli verziert werden.

Auch wenn eine starke Tendenz zur Betonung der Vorderseite, z.B. durch den Einbau von Rampen oder Treppen mit bis zu acht Stufen (im Tempel C in Selinus) oder eine Pronaos-Tiefe von 3.5 Säulenabständen (Apollontempel in Syrakus) zu einem wichtigen Gestaltungsprinzip geworden war, wurde dies durch die Verbreiterung der Säulenabstände an den Längsseiten relativiert, z.B. Tempel der Hera I in Paestum. Nur in den Kolonien konnte der dorische Eckkonflikt ignoriert werden. Wenn die süditalienischen Architekten versuchten, ihn zu lösen, verwendeten sie eine Vielzahl von Lösungen: Verbreiterung der Eckmetopen oder Triglyphen, Variation der Säulenabstände oder Metopen. In einigen Fällen wurden für die breite und die schmale Seite desselben Gebäudes unterschiedliche Lösungen verwendet.

  • Tempel der Hera II in Paestum.

  • Tempel G, Selinus, mit gut ausgeprägtem Adyton.

  • Modell des Olympieions in Akragas.

Ionische TempelEdit

Typische Proportionen der ionischen Ordnung.

UrsprüngeBearbeiten

Für die frühe Zeit, vor dem 6. Jahrhundert v. Chr., kann der Begriff ionischer Tempel bestenfalls einen Tempel in den ionischen Siedlungsgebieten bezeichnen. Aus dieser Zeit sind keine Architekturfragmente der ionischen Ordnung gefunden worden. Dennoch weisen einige frühe Tempel in diesem Gebiet bereits das rationale System auf, das später das ionische System kennzeichnen sollte, z. B. das Heraion II auf Samos. So fluchten schon früh die Achsen der Naoswände mit den Säulenachsen, während in der dorischen Architektur die Außenwandflächen dies tun. Die frühen Tempel sind auch nicht auf das typisch dorische Merkmal der Sichtbarkeit von allen Seiten bedacht, ihnen fehlt regelmäßig ein Opisthodomos; der Peripteros verbreitete sich in diesem Gebiet erst im 4. Im Gegensatz dazu betonen ionische Tempel schon früh die Vorderseite durch doppelte Portiken. Die verlängerte Peristaseis wurde zu einem bestimmenden Element. Zugleich zeichneten sich die ionischen Tempel durch die Neigung zu abwechslungsreichen und reich verzierten Oberflächen sowie durch die verbreitete Verwendung von Licht-Schatten-Kontrasten aus.

Monumentale ionische TempelBearbeiten

Das Heraion von SamosBearbeiten

Sobald die ionische Ordnung in der Tempelarchitektur erkennbar wird, wird sie zu monumentalen Größen gesteigert. Der von Rhoikos um 560 v. Chr. errichtete Tempel im Heraion von Samos ist der erste bekannte Dipteros mit Außenmaßen von 52 × 105 m. Ein doppelter Portikus aus 8 × 21 Säulen umschloss den Naos, die Rückseite hatte sogar zehn Säulen. Die Vorderseite wies unterschiedliche Säulenabstände auf und hatte eine größere zentrale Öffnung. Im Verhältnis zum Bodendurchmesser erreichten die Säulen die dreifache Höhe eines dorischen Gegenstücks. 40 Kanneluren bereicherten die komplexe Oberflächenstruktur der Säulenschäfte. Die samischen Säulenbasen waren mit einer Reihe von horizontalen Kanneluren verziert und wogen trotz dieser Verspieltheit 1.500 kg pro Stück. Die Kapitelle dieser Struktur waren wahrscheinlich noch ganz aus Holz, ebenso wie das Gebälk. Ionische Volutenkapitelle sind von der äußeren Peristasis des späteren Wiederaufbaus durch Polykrates erhalten. Die Säulen der inneren Peristasis hatten Blattdekoration und keine Voluten.

Kykladische IonischeEdit

Auf den Kykladen gab es frühe Tempel, die vollständig aus Marmor gebaut waren. Volutenkapitelle wurden bei ihnen nicht gefunden, aber ihre marmornen Gebälke gehörten zur ionischen Ordnung.

Das Artemision von EphesosEdit
Plan des Artemision in Ephesos.

Gerade ab der Errichtung des älteren Artemision von Ephesos um 550 v. Chr. nimmt die Menge der archäologischen Überreste ionischer Tempel zu. Das Artemision war als Dipteros geplant, sein Architekt Theodoros war einer der Erbauer des samischen Heraions gewesen. Mit einem Unterbau von 55 × 115 m überragte das Artemision alle Vorgängerbauten. Sein Naos war als nicht überdachter Innenhof mit Peristyl, dem sogenannten Sekos, ausgeführt. Das Gebäude war ganz aus Marmor. Der Tempel galt als eines der sieben Weltwunder der Antike, was angesichts der Anstrengungen, die mit seinem Bau verbunden waren, gerechtfertigt sein mag.

Columna caelata aus dem Artemision.

Die Säulen standen auf ephesischen Sockeln, 36 von ihnen waren am unteren Ende des Schaftes mit lebensgroßen Friesen menschlicher Figuren verziert, den sogenannten columnae caelatae. Die Säulen hatten zwischen 40 und 48 Kanneluren, von denen einige so geschnitten waren, dass sie abwechselnd eine breitere und eine schmalere Kannelur aufwiesen. Die ältesten marmornen Architrave der griechischen Architektur, die im Artemision gefunden wurden, überspannen ebenfalls die größten Abstände, die je in reinem Stein erreicht wurden. Der mittlere Architravblock war 8,74 m lang und wog 24 Tonnen; er musste mit einem System von Flaschenzügen in seine endgültige Position, 20 m über dem Boden, gehoben werden. Wie seine Vorgänger hatte der Tempel im vorderen Bereich eine unterschiedliche Säulenbreite und im hinteren Bereich eine höhere Anzahl von Säulen. Den antiken Quellen zufolge war Kroisos einer der Sponsoren. Tatsächlich wurde auf einer der Säulen eine Inschrift gefunden, die auf sein Sponsoring hinweist. Der Tempel wurde 356 v. Chr. von Herostratos niedergebrannt und bald darauf wieder aufgebaut. Für den Ersatz wurde ein Krepidom mit zehn oder mehr Stufen errichtet. Älteren ionischen Tempeln fehlte in der Regel ein bestimmter sichtbarer Unterbau. Diese betonte Basis musste durch ein erhöhtes Gebälk ausgeglichen werden, das nicht nur einen optischen Kontrast zu den schlanken Säulen bildete, sondern auch ein großes Gewicht auf diese legte.

Apollontempel von DidymaEdit
Reste des Apollontempels von Didyma.

Der Apollontempel von Didyma bei Milet, der um 540 v. Chr. begonnen wurde, war ein weiterer Dipteros mit offenem Innenhof. Der Innenraum war mit mächtigen Pilastern gegliedert, deren Rhythmus den der äußeren Peristasis widerspiegelte. Die Säulen mit 36 Kanneluren wurden wie in Ephesos als columnae caelatae mit figürlichem Schmuck ausgeführt. Der Bau wurde um 500 v. Chr. eingestellt, aber 331 v. Chr. wieder aufgenommen und schließlich im 2. Jh. v. Chr. fertiggestellt. Einer der Gründe für die lange Bauzeit dürften die enormen Kosten gewesen sein. Der Bau war der erste ionische Tempel, der der attischen Tradition einheitlicher Säulenabstände folgte, die frontale Differenzierung wurde nicht mehr praktiziert.

Tempel der Athena Polias, PrieneBearbeiten
Ruinen des Athenatempels in Priene

Ionische Peripteroi waren in der Regel etwas kleiner und kürzer in ihren Abmessungen als dorische. So hatte der Zeustempel in Labraunda nur 6 × 8 Säulen, der Tempel der Aphrodite in Samothrake nur 6 × 9. Der Tempel der Athena Polias in Priene, der bereits in der Antike als klassisches Beispiel für einen ionischen Tempel galt, ist teilweise erhalten. Er war der erste monumentale Peripteros von Ionien, der zwischen 350 und 330 v. Chr. von Pytheos errichtet wurde. Er basiert auf einem Raster von 1,8 m × 1,8 m (die genauen Abmessungen der Sockel). Der Tempel hatte 6 × 11 Säulen, d. h. ein Verhältnis von 5:10 oder 1:2 Interkolumnien. Die Wände und Säulen waren gemäß der ionischen Tradition axial ausgerichtet. Die Peristasis war auf allen Seiten gleich tief, wodurch die übliche Betonung der Vorderseite entfiel. Ein Opisthodomos, der in die Rückseite des Naos integriert ist, ist das erste richtige Beispiel in der ionischen Architektur. Der offensichtliche rational-mathematische Aspekt des Entwurfs entspricht der ionischen griechischen Kultur mit ihrer starken Tradition der Naturphilosophie. Pytheos sollte weit über seine Lebenszeit hinaus von großem Einfluss sein. Hermogenes, der wahrscheinlich aus Priene stammte, war ein würdiger Nachfolger und erreichte um 200 v. Chr. die letzte Blüte der ionischen Architektur.

Das Artemision von MagnesiaBearbeiten
Kapitell aus dem Artemision von Magnesia am Maeander (Berlin, Pergamonmuseum).

Eines der von Hermogenes geleiteten Projekte war das Artemision von Magnesia am Maeander, eines der ersten Pseudodipteroi. Andere frühe Pseudodipteroi sind der Tempel der Aphrodite in Messa auf Lesbos, der in die Zeit des Hermogenes oder früher gehört, der Tempel des Apollo Sminthaios auf Chryse und der Tempel des Apollo in Alabanda. Die Anordnung des Pseudodipteros unter Weglassung der inneren Säulenreihe bei gleichzeitiger Beibehaltung einer Peristasis mit der Breite von zwei Säulenabständen ergibt einen massiv verbreiterten Portikus, vergleichbar mit der zeitgenössischen Hallenarchitektur. Das Raster des Tempels von Magnesia basierte auf einem 3,7 m × 3,7 m großen Quadrat, das 12 mal 12 Fuß groß war. Die Peristasis war von 8 × 15 Säulen oder 7 × 14 Interkolumnien umgeben, d. h. im Verhältnis 1:2. Der Naos bestand aus einem vier Säulen tiefen Pronaos, einem viersäuligen Naos und einem zweisäuligen Opisthodomos. Über dem Architrav der Peristasis befand sich ein 137 m langer figürlicher Fries, der die Amazonomachie darstellte. Darüber befanden sich der Dentil, das ionische Geison und die Sima.

Attisch IonischEdit
Das Erechtheion in Athen.

Obwohl Athen und Attika auch ethnisch ionisch waren, war die ionische Ordnung in diesem Gebiet von geringer Bedeutung. Bemerkenswert ist der Nike-Aptera-Tempel auf der Akropolis, ein kleiner, um 420 v. Chr. vollendeter Tempel im Amphiprostil mit ionischen Säulen auf sockellosen attischen Basen, einem dreischichtigen Architrav und einem figürlichen Fries, aber ohne die typische ionische Verzierung. Die Ost- und Nordhallen des Erechtheion, die 406 v. Chr. fertiggestellt wurden, folgen der gleichen Abfolge von Elementen.

EpidaurosEdit

Ein innovativer ionischer Tempel war der des Asklepios in Epidaurus, einer der ersten des Pseudoperipteros-Typs. Dieser kleine ionische Prostylus-Tempel hatte an den Seiten und auf der Rückseite verschränkte Säulen, so dass die Peristasis auf die bloße Andeutung einer vollständigen Portikusfassade reduziert wurde.

Magna GraeciaEdit

Es gibt nur sehr wenige Hinweise auf ionische Tempel in Magna Graecia. Eine der wenigen Ausnahmen ist der frühklassische Tempel D, ein 8 × 20 Säulen großer Peripteros, in Metapontum. Sein Architekt kombinierte die für Kleinasien typischen Zinnen mit einem attischen Fries und bewies damit, dass die Kolonien durchaus in der Lage waren, an den Entwicklungen des Mutterlandes teilzuhaben. Auf dem Poggetto San Nicola in Agrigento wurde ein kleiner ionisch-hellenistischer Prostyltempel gefunden.

Hellenistisches IndienBearbeiten
Hauptartikel: Jandial
Der hellenistische Tempel mit ionischen Säulen in Jandial, Taxila, Pakistan.

Reste eines provinziellen ionischen Tempels mit einem Design, das denen der griechischen Hauptwelt sehr ähnlich ist, sind in Jandial im modernen Pakistan erhalten. Der Tempel gilt als halbklassisch, mit einem Grundriss, der im Wesentlichen dem eines griechischen Tempels entspricht, mit einem Naos, Pronaos und einem Opisthodomos auf der Rückseite. Zwei ionische Säulen an der Vorderseite werden von zwei Anta-Wänden eingerahmt, wie bei einem griechischen Distylus in Antis-Grundriss. Es scheint, dass der Tempel eine Außenwand mit Fenstern oder Türen besaß, deren Anordnung der einer griechischen Säulenreihe ähnelt (peripterales Design). Er wurde als „das hellenischste Bauwerk, das bisher auf indischem Boden gefunden wurde“ bezeichnet.

Korinthische TempelBearbeiten

Das Olympieion in Athen.

AnfängeBearbeiten

Als jüngste der drei klassischen griechischen Ordnungen wurde die korinthische Ordnung erst recht spät für die äußere Gestaltung griechischer Tempel verwendet. Nachdem sie ihre Eignung bewiesen hatte, z. B. an einem Mausoleum im heutigen Belevi (bei Ephesos), scheint sie in der letzten Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr. zunehmend an Beliebtheit gewonnen zu haben. Zu den frühen Beispielen gehören wahrscheinlich das Serapeum von Alexandria und ein Tempel in Hermopolis Magna, die beide von Ptolemaios III. errichtet wurden. Ein kleiner Tempel der Athena Limnastis in Messene, der eindeutig korinthisch ist, ist nur durch Zeichnungen früher Reisender und sehr spärliche Fragmente belegt. Er stammt wahrscheinlich aus dem späten 3. Jahrhundert v. Chr.

BeispieleBearbeiten

Hellenistischer Tempel des olympischen Zeus, AthenBearbeiten

Die erste datierbare und gut erhaltene Präsenz des korinthischen Tempels ist der hellenistische Wiederaufbau des Olympieions von Athen, der zwischen 175-146 v. Chr. geplant und begonnen wurde. Dieser mächtige Dipteros mit seinem 110 × 44 m großen Unterbau und 8 × 20 Säulen sollte einer der größten korinthischen Tempel überhaupt werden. Gestiftet von Antiochus IV. Epiphanes, vereinte er alle Elemente der asiatisch-ionischen Ordnung mit dem korinthischen Kapitell. Seine asiatischen Elemente und seine Konzeption als Dipteros machten den Tempel zu einer Ausnahme in Athen.

OlbaEdit

Um die Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. wurde in Olba-Diokaisarea im zerklüfteten Kilikien ein korinthischer Peripteros mit 6 × 12 Säulen errichtet. Seine Säulen, die größtenteils noch aufrecht stehen, stehen auf attischen Sockeln ohne Sockel, was für die damalige Zeit außergewöhnlich ist. Die 24 Kanneluren der Säulen sind nur im unteren Drittel durch Facetten angedeutet. Jedes der korinthischen Kapitelle besteht aus drei separaten Teilen, eine außergewöhnliche Form. Das Gebälk des Tempels war wahrscheinlich dorisch, wie die in den Ruinen verstreuten Fragmente von Mutuli vermuten lassen. Alle diese Details deuten auf eine alexandrinische Werkstatt hin, denn in Alexandria war die Tendenz am größten, dorisches Gebälk mit korinthischen Kapitellen zu kombinieren und auf den Sockel unter attischen Basen zu verzichten.

Hekate-Tempel von LaginaEdit

Eine weitere Planoption zeigt der Hekate-Tempel von Lagina, ein kleiner Pseudoperipteros mit 8 × 11 Säulen. Seine architektonischen Elemente stehen ganz im Einklang mit dem asiatisch-ionischen Kanon. Seine Besonderheit, ein reicher Figurenfries, macht dieses um 100 v. Chr. errichtete Gebäude zu einem architektonischen Kleinod. Weitere spätgriechische Tempel in korinthischer Ordnung sind z.B. in Mylasa und auf der mittleren Turnhallenterrasse von Pergamon bekannt.

Besondere Nutzungen korinthischer Tempel, EinflussBearbeiten

Die wenigen griechischen Tempel in korinthischer Ordnung sind fast immer außergewöhnlich in Form oder Grundriss und zunächst meist Ausdruck königlichen Mäzenatentums. Die korinthische Ordnung erlaubte eine erhebliche Steigerung des materiellen und technischen Aufwands für ein Bauwerk, was seine Nutzung für die königliche Selbstverherrlichung attraktiv machte. Der Niedergang der hellenistischen Monarchien und die wachsende Macht Roms und seiner Verbündeten brachten merkantile Eliten und Heiligtumsverwaltungen in die Position von Bauherren. Der Bau von korinthischen Tempeln wurde zu einem typischen Ausdruck von Selbstbewusstsein und Unabhängigkeit. Als Element der römischen Architektur fand der korinthische Tempel in der gesamten griechisch-römischen Welt, insbesondere in Kleinasien, bis in die späte Kaiserzeit weite Verbreitung.

  • Das Maison Carrée in Nîmes (Frankreich) aus dem Jahr 16 v. Chr., ein typischer römischer Tempel, ist ein korinthischer Pseudoperipteros im Hexastil.

  • Münze aus dem Pandyan-Königreich, die einen Tempel zwischen Hügelsymbolen und Elefanten darstellt, Pandyas, Sri Lanka, 1. Jahrhundert n. Chr.

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